In zwei Autorenlesungen konnten die Neunt- und Zehntklässler an der Paul-Gerhardt-Schule erfahren, wie unangepasste Jugendliche unter dem SED-Staatsregime in der ehemaligen DDR behandelt und großes Unrecht wiederfahren ist. Buchautorin Grit Poppe und Kathrin Begoin, Liedermacherin und Zeitzeugin, kamen auf Einladung der PGS Geschichtslehrerin Frau Willershausen für vier Schulstunden – unterstützt durch die „Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ und des Vereins “Gegen das Vergessen – für Demokratie” – an die Paul-Gerhardt-Schule (PGS).
Schriftstellerin und Jugendbuchautorin Grit Pope (*1964 in Boltenhagen) engagierte sich zu Wendezeiten in der Bürgerbewegung „Wendezeit Jetzt“ und
las den Mittelstufenschülern einige Passagen aus ihrem Buch „Weggesperrt“ vor.
Liedermacherin Kathrin Begoin (*1968 in Saalfeld) fesselte die Schülerinnen und Schüler mit ihren eindrücklichen Schilderungen aus ihrer Jugendzeit in der DDR Mitte der 1980er Jahre und sang über das Erlebte Lieder aus eigener Feder. Kathrin Begoin ist eine echte Zeitzeugin, da sie selbst im Alter von 15 Jahren in eine DDR-Jugendhilfeeinrichtung geriet, weil sie sich einer Gruppe politisch nicht angepasster Jugendlicher anschloss.

„Geschichtsrelevante Themen sind wichtig. Vielen Menschen fehlt der Geschichtskompass, sie sind rechtsorientiert und ziehen falsche Lehren aus der Vergangenheit des Nationalsozialismus oder verherrlichen in einer Art „Ostalgie“ die DDR“, sagte Schulleiter Martin Forchheim zu Beginn der Veranstaltung. „Wichtig ist es, aus den Fehlern in beiden Systeme zu lernen. Deswegen haben wir zwei Menschen eingeladen, die euch in die Zeit vor dem Umbruch der DDR mitnehmen.“
Zeitzeugin Kathrin Begoin wurde – wie sie dann ausführte – 1984 in den Jugendwerkhof Eilenburg (bei Leipzig) eingewiesen. „Um mich zu brechen“, wie sie zu Beginn ihres Zeitzeugenberichts sagt. Nach mehreren Fluchtversuchen zurück zu ihren Eltern, wurde sie im Januar 1985 in den Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau überführt. In dieser Disziplinareinrichtung im System der DDR-Spezialheime musste sie – umgeben von fünf Meter hohen Mauern mit Stacheldraht und Glasscherben auf der Mauerkrone, ohne jegliche Chance auf Flucht – bis Mai 1985 verbleiben. Mitgebracht hatte die Liedermacherin auch einige schwarz-weiß Aufnahmen von dem Komplex, in dem das DDR-System ab 1964 versuchte rebellische Jugendliche umzuerziehen. In dem Gebäude befanden sich Räume versehen mit Stahl- und Gittertüren, Produktionsstätten sowie Einzelarrest- und Dunkelzellen.

„Ich war als Kind wohl behütet und kam aus gutem Elternhaus. Ich hatte nur eine Schulstunde geschwänzt und schon hatte ich die Jugendhilfe am Hals. Gegen den Willen meiner Eltern kam ich in den Jugendwerkhof Eilenburg“, erzählte die nun 51jährige Thüringerin. „Ich hatte immer die Hoffnung schnell wieder nach Hause zurückzukommen, doch ich musste bleiben. Und so brachte ich es in drei Jahren auf 17 Entweichungen.“ Geflüchtete Kinder seien zur Fahndung ausgeschrieben worden – so wie Verbrecher, erzählt sie weiter und merkt wie ihr das angetane Unrecht noch immer nahe geht. Militärischer Drillton, erniedrigende Leibesvisitation, waschen nur mit kaltem Wasser, bis zu siebentägigem Arrest, 24-Stunden-Sprechverbot, Abschneiden der langen Haare, geringe Essenszuteilung, kein Wasserzugang, rationierte Toilettengänge bis hin zu sexuellem Übergriffen – so schildert die Liedermacherin. Es waren die brutalen Methoden, die Jugendlichen in der DDR gefügig zu machen. „Jede Einweisung nach Torgau wurde von Margot Honecker, der Frau des DDR-Staatschefs, unterschrieben“, sagt Begoin.

„Du konntest in Torgau machen, was Du wolltest – Du hast immer eine Strafe bekommen. Wir sollten funktionieren wie Maschinen, sollten „Ja-Sager“ werden, sie wollten unseren Willen brechen“, beziffert sie den Durchlauf im Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau auf insgesamt 5000 Jugendliche. „Viele Menschen können heutzutage noch immer nicht über das dort Erlebte sprechen, auch bei mir hat es sehr lange gedauert“, weiß Kathrin Begoin, dass viele Ehemalige heutzutage auf Medikamente angewiesen sind, oder aber Alkohol oder Drogen nehmen. Im Anschluss konnten die Jugendlichen, die sichtlich beeindruckt waren, noch einige Fragen stellen.